Über Kunst

Text: Rafael Ramírez Máro

Was macht ein Kunstwerk zum Kunstwerk? Diese Frage wird in der MBU im Fachbereich Praktische und Theoretische Ästhetik behandelt. Grundlage dieser Untersuchungen bildet der humanphilosophische Ansatz: was macht den Menschen zum Menschen? Wie äußert sich dieses spezifisch Humane in der Kultur- in der Kunst?

Nach paläoanthropologischer Ansicht sind es vor allem spirituelle Merkmale, in den prähistorisch archäologischen Funden, die den evolutionären “Quantensprung” zum Humanen charakterisieren. Dieses spirituelle oder geistige, transzendentale Element manifestiert sich in den Kunstwerken als ein “Lebendiges”, als das Atmende: “….und (Gott) blies seinen Odem in seine Nase. Und also ward der Mensch eine lebende Seele.” (Genesis 2.7) Erst wenn ein Kunstwerk “lebendig” ist, wenn es eine “Seele” hat, wenn es atmet, trägt es etwas Geistiges in sich und wird erst dadurch zum Kunstwerk. Es wird zu einem Lebendigen, das zu uns spricht und mit dem man sprechen kann. Dieser Dialog findet in den Kunstwerken nicht nur zwischen Kunstwerk und Betrachter / Hörer statt, sondern verwirklicht sich sogar innerhalb des Kunstwerks selbst. Dieser innere Dialog, findet auf den verschiedensten Ebenen und auf unterschiedliche Weisen statt, die u.a. viel mit den verschiedensten komplexen Kompositionstypen und- techniken zu tun haben. Im Kunstwerk wird dieser Dialog sogar mit anderen Kunstwerken aus den verschiedensten Jahrhunderten und Kulturen geführt, in Zitaten, Paraphrasen etc.. Diese dialogische Kraft der Kunstwerke lässt ein Kunstwerk zu einem “redenden” Phänomen werden. Dieses intrinsische Wesensmerkmal der Kunst spricht uns je nach seiner geistigen Tiefe mehr oder weniger ergreifend an und auch je nach seiner Tiefe ist dieser Diskurs anhaltend ergreifend und nicht kurzlebig und langweilend, wie es bei trivialer “Kunst” charakteristisch ist. Dieses Ergreifende hat aber auch Auswirkung auf den Menschen selbst, indem die vergeistigte Atmung des Kunstwerkes weiter zum Betrachter / Hörer übergeht. Das Kunstwerk und der Ergriffene “atmen” gleich, wodurch sich dem Ergriffenen neue geistige Räume öffnen, die ihm in seinem Alltagsleben wahrscheinlich verschlossen geblieben wären. Hier findet man auch die bereichernde Kapazität des Kunstwerkes, was ein wesentlicher Beitrag zur Verfeinerung des Humanen im Menschen bedeutet. So wird Kunst und Kultur zu einem wesentlichen Teil für die humane Entwicklung einer zukünftigen Gesellschaft, der nicht überschätzt werden kann. Aber auch konstruktive Kritik an trivialen Manifestationen innerhalb von Kunst und Kultur sind wesentlich, um einer Verstumpfung der Sensibilität den Kunstwerken gegenüber entgegen zu wirken.
Wenn ein Kunstbetrachter oder Hörer dem Kunstwerk feinsinnig lauschen kann, wenn er es als etwas Lebendiges respektieren und achten kann, wird dies auch tiefe Auswirkungen auf seinen Umgang mit anderen Menschen haben. Er wird das Leben im Kunstwerk, wie im Anderen als “göttlichen Atem” spürend, liebend und achtend “erleben” können, was seinem Leben eine neue geistigere und humanere Dimension eröffnet, in der man, wie der grosse spanische Poet Gustavo Adolfo Bécquer auf die Frage, was Poesie sei, antworten kann: “La poesía eres tú” (Du bist die Poesie)